In diesem Projekt führte ich ein Interview mit Chirine Harrabi. Das Interview handelt von ihrem Auswandern nach Amsterdam, um dort zu studieren und welche Erfahrungen sie dadurch machte.
«Verglichen zu Deutschland und der Schweiz, wirklich grottenschlecht!»

Chirine zog mit 21 Jahren für ihr Studium allein nach Amsterdam. Der Umzug in ein neues Land war nicht ohne. Sie hatte und hat immer noch mit Herausforderungen zu kämpfen.
Interview: Leila Braun

Was hat Sie dazu inspiriert, in Amsterdam zu studieren?
Um ehrlich zu sein, wusste ich immer schon, dass ich im Ausland studieren möchte. Nach dem Gymnasium hatte ich den Drang die Schweiz zu verlassen, aber ich war auch sehr unentschlossen. Es war dann so, dass ich mich für Modedesign entschieden hatte und das war eigentlich der Grund, warum ich in Amsterdam studieren wollte. Das und auch, weil ich damals mit einer Freundin das erste Mal nach Amsterdam reiste und ich mich direkt in die Stadt verliebte.
Dann habe ich mich für Modedesign beworben, was aber nicht klappte. Doch meine Motivation hier zu studieren, war immer noch da. Darum begann ich mich über andere Studiengänge zu informieren und bin auf Kommunikationswissenschaften gestossen.

Wie gross war die Überwindung sich für das Studium in Amsterdam anzumelden?
Ich habe mich die ganze Zeit darauf gefreut. Es war vielleicht noch die Angst, dass ich es nicht rechtzeitig schaffe. Denn ich musste zuerst die Cambridge Prüfung bestehen, weshalb ich davor für fünf Monate nach Australien ging. Viele Freunde hatten sich bereits an den Unis angemeldet, was mich ein wenig unter Druck setzte.

Wie haben Sie den Umzug von der Schweiz nach Amsterdam erlebt?
Hierfür musste ich mich wirklich zuerst motivieren oder sogar überwinden. Es war nicht einfach für mich, denn es war ein anderer Abschnitt in meinem Leben. Ich ging wegen Corona ein Jahr später nach Amsterdam, als ich sollte. Es war schwierig, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so eine grosse Motivation hatte nach Amsterdam zu ziehen, wie zwei, drei Jahre vorher, als ich das alles geplant hatte. Dort war ich noch sehr enthusiastisch. Aber als der Zeitpunkt dann kam, ist so viel in der Zwischenzeit passiert, dass es mich dann doch Überwindung kostete, hier hinzuziehen. Das erste Jahr war auch sehr schwierig.

Wieso war das erste Jahr schwierig?
Ich hatte sehr Mühe, mich hier einzuleben, weil ich gewisse Personen nicht bei mir hatte. Ich war zu vor ein Jahr auf Bali, was ich sehr vermisst habe. Ausserdem hatte ich in der ersten Zeit in Amsterdam vieles überdenkt und wusste nicht mehr, ob es das ist, was ich wirklich will. Es waren schon zwei grosse Umschwünge, vom Leben auf Bali mit meinem Partner zu, allein nach Amsterdam zu ziehen.

Was waren Ihre größten Herausforderungen, als Sie in Amsterdam ankamen?
Ich glaube, meine grösste Herausforderung war, (zögert) ich selbst. (lacht) Das klingt etwas traurig. Ich war nicht im Reinen mit mir selbst und habe mir gewisse Sachen schwer gemacht. Zum Beispiel fand ich es sehr schwierig, sozial zu sein und Freunde zu finden. Im ersten Jahr hatte ich nicht viel unternommen. Ich habe mich auch sehr in meine Leistung für die Uni verbissen. Ich sage nicht, dass man nicht viel Zeit aufwenden muss, aber ich glaube, ich habe es etwas zu ernst genommen. Dadurch habe ich andere Sachen ausser Acht gelassen, wie, die Stadt einfach mal zu geniessen, sich kulturell hier einzuleben und Freunde zu finden. Ich hatte meine paar Sachen, auf die ich mich konzentrieren konnte. Schule, einen Nebenjob und vielleicht die ein, zwei Freunde, aber sonst habe ich mich nicht wirklich entfaltet. Ich denke, dadurch bin ich damals auf den Entschluss gekommen, dass mir Amsterdam doch nicht gefällt.

Wie haben Sie Ihre neue Umgebung und Kultur in Amsterdam erlebt?
Anfangs gar nicht. Weil ich mit allem ein bisschen unzufrieden war, dass ich dann nur negative Aspekte von Amsterdam absorbierte. Was mich dann zum Entschluss brachte, dass ich es hier doch nicht cool finde. Es ist etwas lustig, dass jetzt so in Worte zu fassen, aber ich dachte mir: Okay, Amsterdam, die Leute hier, die Kultur ist sehr kalt, sehr verbissen und in sich gekehrt. Aber ich war genau gleich in dieser Zeit. Ich bin eigentlich nur in Amsterdam gewesen und habe nicht wirklich etwas entdeckt. Aber im letzten Jahr hat sich das verändert. Ich denke, das geht Hand in Hand mit mehr Freunde zu haben, denn dadurch unternimmt man viel mehr und bekommt viel mehr mit.

Sie haben vorher erwähnt, dass Holländer*innen eher verbissen und ernst sind. Sind Sie das auch oder lag das an Ihnen und Ihrer Einstellung?
Holländer*innen, das weiss ich, sind einfach sehr direkt und können ein wenig kalt sein. Aber jüngere Generationen sind auch anders. In unserem Alter ist jeder sozial unterwegs. Aber ja, es weiss jeder, dass Holländer*innen direkt sind aber ich glaube, das ist etwas, an das man sich irgendwann daran gewöhnt. (lacht)

Wie erleben Sie den Cannabiskonsum?
Das ist eine gute Frage, denn ich glaube, das war auch einer von den Gründen, wieso es mir am Anfang hier nicht gefallen hat. Es war auch ein negativer Punkt, auf den ich mich fokussiert habe. Das weiss eigentlich jede*r über Amsterdam, aber wenn du dann hier wohnst, fällt es dir schon extrem auf. Vor allem, wenn du selbst kein Cannabis konsumierst. Anfangs fand ich, es zerstört die Stadt. Aber mittlerweile, klar, du riechst es durch die ganze Stadt, aber du gewöhnst dich einfach daran.

Wie erleben Sie das Rotlichtviertel?
Ich habe das Rotlichtviertel eigentlich immer vermieden. Es war für mich eine Gegend, wo man sich nicht freiwillig aufhält. Ich habe jetzt aber ein Praktikum begonnen, das von Fashion, vor allem Street style handelt und dadurch habe ich meine Meinung geändert. Es gibt im Rotlichtviertel viele bekannte Marken, die sich dort niedergelassen haben. Das, mit der Intention, eine hippere Gegend daraus zu machen und den Einheimischen aber auch den Touristen und vor allem der jüngeren Generation zu zeigen, dass man es anders und mit Respekt ansehen sollte. In letzter Zeit musste ich ab und zu in das Viertel, weil wir an einem Popup Opening waren oder ein Event dort durchführten. Dadurch nehme ich es jetzt ganz anders wahr.

Gibt es etwas, dass Sie an Holland überraschte?
Etwas, dass mich hier schon sehr überrascht hat, ist das Gesundheitssystem. Genauer gesagt, es hat mich schockiert. Verglichen zu Deutschland und der Schweiz wirklich grottenschlecht! Ich dachte, es wäre kein Problem zum Arzt zu gehen. Aber es gibt hier nicht einmal richtige Hausarzt*innen.

Was ist immer noch eine Herausforderung?
Auch, wenn ich mich hier gut eingelebt habe, gibt es immer wieder so Momente, wo mich die Stadt einfach überfordert. Dann sehne ich mich nach zuhause. Ich denke, es ist normal, aber es ist auch schade, denn du willst ja irgendwo wohnen, wo du dich zu 100% wohl fühlst. Was ich eigentlich auch mache. Auch das mit dem Gesundheitswesen beschäftigt mich oft. Und nicht, weil ich voll die Hypochonderin bin (lacht), aber du willst, dass dir dann geholfen wird, wenn mal etwas wäre.

Wie sieht Ihre Zukunft, auch in Bezug auf Amsterdam aus?
Amsterdam ist schon mein Zuhause geworden und ich finde es wirklich super. Ich weiss, ich bin durch Höhen und Tiefen gegangen. Ich weiss auch, dass ich hier nicht für immer bleiben möchte. Das Studium ist so schnell vorbei gegangen. Daher habe ich mich dafür entschieden, meinen Master auch hier zu machen. Ich habe gemerkt, dass ich mich noch nicht von Amsterdam trennen kann. Es ist schwierig zu planen. Ich denke, wenn das Studium fertig ist, ist es auch Jobabhängig, ob ich dann in Amsterdam bleibe oder es mich woanders hinzieht.


Chirine Harrabi (23) ist in Kreuzlingen TG aufgewachsen. Nach der Matura reiste sie viel und entschloss sich dann Kommunikationswissenschaften in Amsterdam zu studieren. Durch Corona verlief das erste Jahr als Onlinestudium, das sie von Bali aus absolvierte. Sie zog daher erst im zweiten Studienjahr in die niederländische Hauptstad. Jetzt ist sie im 6. Semester und macht ein an das Studium gebundenes Fashion PR and Communication Consulting Praktikum.

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